Indonesien: Vom Patenkind zum Menschenrechtler
Text: Sarah Plate
Ibrahim Peyon wuchs im Baliem-Tal auf, mitten im zentralen Hochland Westpapuas. Sein Weg sollte den jungen Papua aus dem Urwald Indonesiens über ein Wohnheim des Kindernothilfe-Partners bis an die Universität in München führen. Hier arbeitet das ehemalige Patenkind zurzeit an seinem Doktortitel.
Ibrahim Peyon war gerade einmal drei Monate alt, als indonesische Soldaten kamen und sein Dorf überfielen. Wenige Jahre zuvor hatte Indonesien den westlichen Teil der Insel Neuguinea übernommen. Viele der traditionellen Bewohner, Papuas genannt, akzeptierten die neue Regierung jedoch nicht. Als Oberhaupt der Gemeinde kämpfte Ibrahims Vater mit den anderen Männern gegen die Eindringlinge. Seine Mutter floh mit dem Baby in den Wald. Nach drei Tagen fand der Vater seine Familie und brachte sie zu einem Sammelpunkt für alle Überlebenden. Fünf Jahre lebten die Dorfbewohner in diesem Versteck im Dickicht. So berichtet es Ibrahim Peyon heute, 40 Jahre später.
Nachdem der Vater entschieden hatte, zurück ins Heimatdorf zu ziehen, kamen die Papuas mit Missionaren in Kontakt. Bereits seit den 1960er Jahren arbeiteten die Geistlichen mit der indigenen Bevölkerung Westpapuas in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Religion. Bald fassten die Dorfbewohner Vertrauen zu den Fremden, vieles veränderte sich, und der Junge besuchte die von den Missionaren neu erbaute Grundschule: „Wir hatten in den Bergen unsere eigenen Sitten und unsere eigene Kultur. Das Leben spielte sich in unseren traditionellen Häusern ab. Wir lebten eng in unserem familiären Umfeld, das Zusammensein mit unseren Verwandten war das Wichtigste für uns. Durch die Missionare begann sich unsere Lebenssituation langsam zu ändern, unser Horizont weitete sich.“
Die Großstadt war für Jungen und Mädchen ein Kulturschock
Mit der Bildung kam ein deutlich größeres Verständnis: „Meine Generation bekam die Möglichkeit, zu studieren und zu begreifen, was in unserem Leben und in unserer Heimat passiert.“ Die Studenten sahen die regelmäßigen Menschenrechtsverletzungen durch das indonesische Militär und wollten etwas bewegen. „Wir organisierten friedliche Demonstrationen in Jayapura und bildeten mit gleichgesinnten Freunden eine Gruppe des aktiven Widerstands gegen das unterdrückerische System der indonesischen Regierung.“ Fast jede Woche gingen die jungen Demonstranten auf die Straße.
Die Regierung setzte Ibrahim Peyon auf die schwarze Liste
„Nach dieser Reise kehrte ich in meine Heimat zurück, wo mich die Regierung inzwischen auf eine schwarze Liste gesetzt hatte.“ Ibrahim war in Westpapua nicht mehr sicher. Ein weiteres Mal konnten Missionare ihm helfen: Mit einem Stipendium der Vereinten Evangelischen Mission kam er 2014 zurück nach Deutschland. Sein Ziel war es, in München in Ethnologie zu promovieren. Dafür musste er allerdings erst einmal Deutsch lernen. „Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache“, lacht Ibrahim. „Nach einem sechsmonatigen Sprachkurs in Bochum fiel ich durch die Prüfung und mein Stipendium wurde ausgesetzt.“ Sein Traum vom Doktortitel schien geplatzt zu sein.
Doch wieder hatte Ibrahim Glück. Über einen Bekannten lernte er Werner Doll aus dem schwäbischen Mindelheim kennen. Doll engagiert sich seit Jahren für indigene Völker und lud Ibrahim zu sich ein. In Mindelheim fand Ibrahim eine günstige Unterkunft, konnte sein Deutsch verbessern und die Prüfung bestehen. Er bekam wieder ein Stipendium und konnte endlich seine Promotion an der Universität München aufnehmen.
Dank Schulbildung haben alle Dorfkinder es weit gebracht
Wie es weitergeht? „Ich weiß nicht, ob ich jemals nach Westpapua zurückkehren kann oder nicht. Aber solange ich hier bin, werde ich die Zeit nutzen und die Öffentlichkeit über die Menschenrechtssituation meines Volkes informieren. Wir müssen den Kolonialismus endlich überwinden. Das ist unsere Mission.“