Ruanda: Aus Feinden wurden Freunde
Text: Raoul Mulzer Fotos: Jakob Studnar, Felix Kaloki, Ralf Krämer
Murekatete hat eine beeindruckende Geschichte zu erzählen. Sie handelt von Perspektivlosigkeit, von Isolation, Bitterkeit und unbeschreiblicher Gewalt. Mehr noch geht es in ihr jedoch um Hoffnung, Versöhnung und Solidarität. Und um eine Gruppe von Frauen, die sich mit etwas Anleitung auf beeindruckende Weise selbst geholfen hat. Vor 25 Jahren begann die Kindernothilfe die Zusammenarbeit mit African Evangelistic Enterprise Rwanda (AEE). Wir blicken zurück.
Ruanda, Land der tausend Hügel. Und Heimatland von Murekatete, einer der Frauen aus der Selbsthilfegruppe Duterimbere. Heute ist Ruanda Musterbeispiel für Aufschwung, für Sicherheit und Versöhnung. Mit mehr als 60 Prozent ist es das Land mit dem weltweit höchsten Anteil von Frauen im Parlament, ist Vorzeigeland beim Thema Korruption, der Tourismus boomt.
Die meisten verbinden Ruanda jedoch auch mit einer der größten menschlichen Katastrophen der jüngeren Geschichte. Vor 25 Jahren wütete in dem kleinen Land ein Völkermord, dem wohl eine Millionen Menschen zum Opfer fielen. Auch nach dem Ende des Mordens hinterließ er Millionen Geflüchtete, zerstörte soziale Beziehungen und tiefe Wunden im kollektiven Gedächtnis der Überlebenden.
Damals begannen wir die Zusammenarbeit mit unserem lokalen Partner African Evangelistic Enterprise, zunächst um humanitäre Hilfe und die Versorgung verwaister Mädchen und Jungen zu unterstützen. Außerdem ging es um den Wiederaufbau der Partnerorganisation selbst; viele Mitarbeitende waren unter den Getöteten. Die nächsten acht Jahre arbeitete AEE mit Pflegefamilien in verschiedenen Regionen Ruandas, finanziert über Patenschaften der Kindernothilfe.
Eine Evaluierung der Programme machte jedoch deutlich, wie begrenzt die Reichweite angesichts des großen Bedarfs war. Um nachhaltiger und breiter anzusetzen, führte AEE daraufhin im Jahr 2002 die Arbeit mit Selbsthilfegruppen (SHGs) ein.
Die Rückkehr nach Ruanda
Ein Neuanfang in der Selbsthilfegruppe
Bei einer SHG geht es zunächst einmal ganz schlicht darum, den Mitgliedern zu ermöglichen, sich und ihre Familien materiell zu versorgen. Von zentraler Bedeutung ist die Erkenntnis, dass die Mitglieder selbst am besten wissen, was sie am nötigsten brauchen. Sie können deshalb auch am besten beurteilen, wofür Geld ausgegeben werden soll. Es geht also nicht um übergestülpte Pläne von außen, sondern um die Unterstützung eines Prozesses; eigene Entscheidungen zu fällen über eigenes Geld und für selbst gewählte Ziele. Hilfe zur Selbsthilfe eben.
Die SHG als Ort der Versöhnung
Der Selbsthilfeansatz ist damit nicht nur nachhaltiger als kurzfristige finanzielle Hilfen, er geht auch weit über die ökonomische Seite hinaus. Neben der materiellen Verbesserung strahlt er in viele weitere Lebensbereiche der Mitglieder und der sie umgebenden Lebensgemeinschaften aus.
Im Laufe der Zeit veränderte sich die Gruppe nun auch wirtschaftlich. Sie sparte immer größere Beträge, nahm Kredite für Investitionen auf. Heute vermietet Murekatete neun Zimmer und hat ein gutes und regelmäßiges Einkommen. Sie hat ihre Kinder zur Schule und dann auf die Universität schicken können und freut sich, dass sie es einmal besser haben werden, als sie es hatte. Die meisten Frauen aus ihrer Gruppe haben heute ein geregeltes Einkommen; alles dank der Investitionen, die sie über die Jahre machen konnten.
So wirkt das Konzept der Selbsthilfegruppen weit in die sie umgebende Gesellschaft hinein, als „mächtiger und ganzheitlicher Wandlungsprozess für die gesamte Gemeinschaft und die Region“, wie John Kalenzi, Teamleiter von AEE resümiert.
Wir sagen danke für 25 Jahre Zusammenarbeit und freuen uns auf die gemeinsame Zukunft!