Vom Dunkel ins Licht — Wege aus dem Trauma
Text: Gunhild Aiyub, Aufmacherfoto: Jakob Studnar
Junge Menschen, die flüchten mussten, haben meistens eines gemeinsam: Traumatisierende Erfahrungen. Was ist ein Trauma und wie erkenne ich es? Wie kann ich helfen? Die Kindernothilfe-Arbeitseinheit Training & Consulting bietet dazu Schulungen an. Was die Mädchen und Jungen erlebt haben, ist erschütternd. Umso schöner ist es, wenn sie lernen, mit ihren Traumata umzugehen, und wenn sie ihr Leben vielleicht wieder in den Griff bekommen.
„Die Polizisten haben meinen Vater umgebracht. Ich war dabei. Sie haben uns gefesselt. Mein Vater wurde immer wieder befragt und geschlagen. Zum Schluss haben sie ihm in den Mund geschossen.“
Verhörmethoden der ugandischen Polizei, erzählt von Jennifer, einer 17-jährigen Augenzeugin. Es ist die Abschrift einer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Jennifer bittet 2017 um Asyl in Deutschland. Wie viel Kraft muss es sie gekostet haben, ihre Geschichte zu erzählen. „Antwort unter Tränen“ hat der Protokollant vor den Absatz gesetzt, aber das Ausmaß dessen, was dieses Mädchen erlebt hat, kann wohl niemand nachempfinden.
Jennifer wird von der Polizei eingesperrt und immer wieder vergewaltigt. Sie kann fliehen, der Mann, der auf sie schießt, trifft nicht. In ihrem Dorf kann sie nicht bleiben, ihr Leben wäre in Gefahr. Ihre Großmutter schickt sie zu einer Freundin, die die Ausreise von Mädchen nach Europa organisiert. Dass es sich um Menschenhändler handelt, weiß sie nicht. Doch Jennifer ist schwanger. Eine Abtreibung funktioniert nicht. Bis zur Geburt ihres Sohnes darf sie nur nachts das Zimmer verlassen. Im Kofferraum eines Wagens wird sie zweimal zur deutschen Botschaft gebracht, um ein Visum zu bekommen. Im Juli 2017 wird sie am Flughafen einem weißen Mann übergeben. Sie glaubt, er würde ihr Arbeit besorgen und für ihre Sicherheit sorgen. Und dass sie ihren kleinen Sohn später nachholen kann.
"Nach zwei Tagen hat der Mann angefangen, mir Freier zu bringen"
Sie fliegen nach Deutschland, fahren dort stundenlang mit Bus und Bahn. „Wir kamen in der Nacht an. Ich musste auf dem Boden schlafen. Nach zwei Tagen hat der Mann angefangen, mir Freier zu bringen.“ Als Jennifer sich weigert, mitzumachen, setzt er das Wiedersehen mit ihrem Sohn als Druckmittel ein. Als er einmal mit ihr Kleidung kaufen will, kann sie fliehen.
Ein Passant hilft ihr, sie landet bei der AWO und kommt in die Obhut der Psychologin Johanna Westen. „Ich habe Jennifer vier Monate intensiv betreut“, sagt die 30-Jährige, „sie auch auf die Anhörung im Ministerium vorbereitet und sie zu dem Termin begleitet. Ihr Asylantrag wurde bewilligt.“
Johanna Westen schult im Auftrag der Kindernothilfe-Arbeitseinheit „Training & Consulting“ Haupt- und Ehrenamtliche, die mit Geflüchteten arbeiten, Traumata bei jungen Menschen zu erkennen. „Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Symptomen einer Traumatisierung“, weiß die Psychologin. Weitere Anzeichen seien, dass die Kinder ängstlich sind und immer wieder Flashbacks haben. „Sie erinnern sich an Dinge oder Gerüche und fühlen sich auf einmal wieder wie mittendrin in der schlimmen Situation. Typisch sind auch Erinnerungslücken, weil die traumatischen Erlebnisse nur bruchstückhaft abgespeichert werden. Bei Vergewaltigungsopfern sind die Symptome häufig Unterbauchschmerzen ohne medizinische Ursache.“
"Diese Entwicklung mitzuerleben, ist echt ein Geschenk!"
In den Schulungen vermittelt die Fachfrau für Traumata Prinzipien für ein behutsames Vorgehen, um den Kindern ein Gefühl der Sicherheit zu geben: „Warten, bis das Kind von sich aus erzählt. Gespräche auf die sichere Gegenwart beziehen und möglichst wenig auf die Vergangenheit. Nicht nachfragen – außer es geht um eine Anhörung, wo man Details kennen muss. Das Kind entscheiden lassen, wo es sitzen möchte. Oft ist es für die Mädchen und Jungen wichtig, dass sie die Tür im Blick haben. Nicht über ihre Köpfe hinweg etwas bestimmen, sondern sie selbst viel entscheiden lassen, damit sie das Gefühl haben, sie haben die Kontrolle.“
Vielen Mitarbeitenden von Organisationen und Einrichtungen haben die Schulungen inzwischen bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten weitergeholfen. Und sie erleben, dass sie etwas bewirken können. „Wenn die Mädchen ankommen, schauen sie einen nicht an, sprechen kaum und sind total verstört. Es ist so schön zu sehen, wie sie dann nach drei Wochen anfangen, einen anzulächeln. Nach acht Wochen tanzen sie miteinander und haben Spaß. Diese Entwicklung mitzuerleben, ist echt ein Geschenk!“
Jennifer ist inzwischen 20 Jahre alt und hat sich ein neues Leben aufgebaut. „Sie ist ganz beeindruckend“, sagt Johanna Westen. „Sie lebt in einer guten Beziehung, geht zur Schule und schreibt nur Einsen, sie ist wirklich ein lebendiges Beispiel für Resilienz.“ Auf die Frage, was sie nach der Schule gern machen würde, sagt Jennifer spontan: „Mich sozial engagieren, vielleicht bei einer Hilfsorganisation. Ich möchte anderen Menschen helfen.“