"Wer will denn schon die ollen Pötte haben?"
Text und Fotos: Gunhild Aiyub
Anfang waren fast alle gegen den Laden. Fünf engagierte Frauen setzten sich durch und starteten mit drei Kartons gebrauchter Kleidung. Seitdem sind 40 Jahre vergangen und unglaubliche 600.000 Euro an die Kindernothilfe geflossen. Das wurde im August 2019 gefeiert, und zwei Kindernothilfe-Mitarbeiterinnen feierten mit!
„Anfangs wurden wir überall verjagt mit unseren Kartons“, erzählt Renate Herzog. Die 87-Jährige gehört zu den fünf Gründerinnen des Ladens. „Wir haben im Treppenhaus des Gemeindehauses mit drei Kartons unseren Verkauf gestartet. Dann kam jemand von oben herunter und fragte: ‚Was tun SIE denn hier?‘ Wegen Brandschutzvorschriften mussten wir sofort alles zusammenpacken ... Wir sind in den Keller des Jugendheims umgezogen und haben unsere Habseligkeiten auf dem großen Billardtisch ausgebreitet. Dann bekam der CVJM diesen Raum, und wir waren wieder im Weg. ‚Wie lange wollt ihr Omas das noch machen“, hat einer gefragt.‘“ Lautes Gelächter rundherum.
Meine Kollegin Petra Kalkowski und ich hocken mit einer kleinen Gruppe in einer Ecke des großen, proppevollen Second-Hand-Ladens und reden über die Anfänge des Geschäfts. „Ilse Pack hatte die Idee zu diesem Laden“, sagt Renate Herzog. „Sie meinte, unsere Kinder seien erwachsen, jetzt könnten wir doch auch mal was anderes tun. In der Kirchengemeinde wurde sie ausgelacht: in Wiehl getragene Klamotten verkaufen – unmöglich, hieß es! Eine Kaffeestube für die Älteren, die fanden die meisten viel sinnvoller. Nur fünf Frauen waren für den Laden. Zwei sind leider inzwischen verstorben, wir anderen sind heute hier.“ Augenzwinkernd setzt sie hinzu: „Die Kaffeestube gibt’s schon lange nicht mehr – unser Laden ist immer noch da!“
Eine Atmosphäre wie bei einem Familientreffen
Die Atmosphäre ist herzlich, wie bei einem großen Familientreffen. Bei unserem Eintreffen wurden wir bereits von Anneliese Abresch umarmt, die seit 30 Jahren im Laden arbeitet. Wir haben uns noch nie getroffen, aber Petra Kalkowski betreut das Ladenteam seit acht Jahren, und die Verbindung zu unseren Spendern und ehrenamtlichen Mitarbeitern ist einfach etwas Besonderes. Die Kindernothilfe ist dankbar für diese vielen großartigen, engagierten Menschen, der Umgang miteinander oft sehr herzlich.
Ein Löffel klirrt gegen ein Glas – Laden-Mitarbeiterin Susanne Langer möchte ein paar Sätze zum Jubiläum sagen. Nach einem Überblick über die Arbeit im Laufe der Jahrzehnte sagt sie: „Für euch Frauen stand im Vordergrund, mit dem Laden die Not der Kinder in der Welt ein wenig zu lindern. Mit der Kindernothilfe in Duisburg habt ihr damals einen kompetenten Ansprechpartner gefunden, daran haben wir auch 40 Jahre lang festgehalten. In dieser Zeit haben wir einen Erlös von über 800.000 Euro erwirtschaftet. 80 Prozent gingen an die Projekte der Kindernothilfe, mit dem Rest haben wir geholfen, wenn irgendwo eine Katastrophe passiert war oder in Wiehl Kinder in Not waren.“ 600.000 Euro für die Kindernothilfe! Die niedrigen Preise machen deutlich, wie gut der Verkauf laufen muss, um so viel Geld zu erwirtschaften, bei nur einem Öffnungstag pro Woche, dienstags von 10 bis 18 Uhr. Eine Lederjacke kostet 20 Euro, eine Hose 4 Euro, ein Oberhemd 2 Euro, Socken 50 Cent, 1 Kaffee-Gedeck 1,50 Euro.
Nach einer Ehrung und einem Blumenstrauß für Renate Herzog schließt Susanne Langer ihre Rede mit etwas Persönlichem: „Ich arbeite sehr gerne hier, es macht mir viel Spaß. Ich bin dienstagabends auch schon mal kaputt, aber dann auch wieder sprachlos, wenn ich höre, dass wir an einem Tag zwischen 700 und 1.000 an Reingewinn haben - eine wunderbare Vermehrung in den Einnahmetaschen. Und das wünsche ich mir auch für die Zukunft. Wir sind personalmäßig gut aufgestellt, wir haben jetzt 20 Mitarbeiter, und ich wünsche uns weiterhin viele wunderbare Erlebnisse.“ Lauter Beifall und Umarmungen, auf das Engagement dieser wunderbaren Menschen kann die Kindernothilfe weiterhin zählen!
Vom Babystrampler bis zum Ballkleid
Jetzt ist Zeit, die einzelnen Räume zu erkunden. Anfangs bestand das Sortiment nur aus Kleidung – und allein diese Auswahl ist mittlerweile sehr beeindruckend, angefangen von Babystramplern über bunte Anoraks für Kleinkinder bis zum Dirndl oder Ballkleid. Dann kamen andere Sachen hinzu. In der Porzellanabteilung – anfangs belächelt mit Kommentaren wie „Wer will denn diese ollen Pötte haben?“– entdecke ich das Service, das ich zur Hochzeit geschenkt bekommen habe und von dem längst einiges auf der Strecke geblieben ist. Hier kann ich die fehlenden Stücke ersetzen – wie toll!
Am der Wand gegenüber steht eine junge Frau auf der Leiter, um sich die lilafarbenen Schuhe auf einem oberen Regalbrett genauer anzuschauen. Im Zimmer für Bettwäsche und Spielwaren fragt mich eine Kundin nach meiner Einschätzung wegen der Maße eines knallbunten Bettbezugs. Aus der angrenzenden Küche schwebt ein nie versiegender Strom von Frauen mit Tabletts voller Leckereien.
Wenn Kunden plötzlich dicker sind als beim Reinkommen
Natürlich gibt es auch schwierige Kunden: „Manche sind mit den Preise nicht einverstanden oder glauben, dass wir Mitarbeiterinnen uns eine goldene Nase verdienen“, sagt Mitbegründerin Anneliese Oberdörster. Die anderen nicken. „Die denken dann, die Einnahmen kriegen wir.“
Mir war am Eingang neben der Kindernothilfe-Plakette für besonders treue Unterstützer ein Schild aufgefallen, dass Ladendiebstahl sofort angezeigt wird. Ist Stehlen ein Problem? Ja, zu diesem Thema können die Frauen auch einiges erzählen. Ilona Vespermann: „Eine Kundin verließ den Laden, ohne etwas zu kaufen. Uns fiel auf: ‚Komisch, ist die auf einmal so dick! Die sah doch beim Reinkommen nicht so aus!‘ Susanne lief hinter der Frau her und forderte sie auf, den Reißverschluss ihres Mantels zu öffnen, da fielen die geklauten Sachen raus.“
Bloß nichts Persönliches herumliegen lassen — es könnte verkauft werden
Während die Frauen Geschichten austauschen, hören wir aus einem anderen Raum lautes Gelächter. Mitarbeiterin Lore Wirths klärt uns auf: „Eine Kundin wollte gerade eine Jacke anprobieren und legte ihre eigene Jacke auf einem Tisch ab. Eine andere Kundin zieht die Jacke der Kundin an und sagt: ‚Super, die nehme ich!‘“
Als wir uns verabschieden, hat Frau Wirths noch eine Anekdote für uns auf Lager: „Ein junger Mann sah draußen vor der Tür einen Liegestuhl und bot uns 5 Euro dafür. Wir sagten: ‚Nein, der ist ganz neu, der kostet 10 Euro.‘ Er suchte in allen Taschen sein Geld zusammen und legte 10 Euro auf die Theke. Draußen wollte er sich den Liegestuhl schnappen, da kam eine Kundin und sagte ‚Oh, der ist aber schön, den würde ich auch nehmen.‘ ‚Ok“, meinte er, ‚15 Euro!‘ Und er hat ihr den Liegestuhl verkauft!“