„Wie bringe ich Indien nach Deutschland?“
Text: Imke Häusler
Es ist ein interessantes Team, das nach monatelanger Vorbereitung am 1. Oktober nach Indien aufbricht: Die Lehrkräfte Karin Deppe und Christian Platz vertreten Schulen, an denen sich jedes Jahr um die 200 Schülerinnen und Schüler für die Kindernothilfe engagieren. Karin Best, Stefan Moschel und Monika Behrens sind seit vielen Jahren in einem ehrenamtlichen Arbeitskreis aktiv. Pastorin Karla Unterhansberg bringt Themen globaler Gerechtigkeit in ihre Gemeinde ein. Christine Ahrens und Hans-Ernst Kreusler unterstützen unsere Arbeit seit Langem ehrenamtlich in ihren Kirchengemeinden. Begleitet wird die Gruppe von Dietmar Boos und Imke Häusler vom Team Globales Lernen.
Wir erreichen Kalkutta in der Nacht zum 2. Oktober. Es ist schwül und regnet intensiv, obwohl die Monsunzeit eigentlich schon vorbei ist. Aparajita Dhar, Leiterin des Kindernothilfe-Büros in Indien, gibt uns am ersten Tag eine lebhafte Einführung in dieses bevölkerungsreichste, vielfältige und dynamische Land. Große Armut, Kinderarbeit, Diskriminierung von Frauen und Mädchen, Frühverheiratung, mangelnder Zugang zu Bildung, wenig Erfahrung mit Kinderbeteiligung sowie eine fordernde politische Situation sind die zentralen Herausforderungen, denen sich die Arbeit der Kindernothilfe in Indien stellen muss. Wie, werden wir in den nächsten zwei Wochen in drei sehr unterschiedlichen Projekten in Kalkutta, in Delhi und im Sambalpur-Distrikt erleben.
Kalkutta
Knöchel- bis knietief steht das Wasser in den Vierteln Kalkutta, in denen die Frauenorganisation „Lake Gardens“ gemeinsam mit der Kindernothilfe Frauenselbsthilfegruppen gegründet hat. Ein erster Erfolg: Schwellen vor den Eingängen der einfachen Häuser halten das Wasser ab. Über die Selbsthilfegruppe, die wir kennenlernen durften, schreibt Christian Platz in unserem gemeinsamen Tagebuch: „Diese Frauen zwischen 26 und 80 Jahren haben sich auf die Herstellung von Gewürzen spezialisiert. Im Laufe der Fragerunde war förmlich zu spüren, wie sehr sie hinter dem Projekt stehen, wie viel es für sie bedeutet und wie sehr sie zusammenhalten. Die Älteste erzählt, wie glücklich sie darüber ist, dass sie von den jüngeren Mitgliedern unterstützt wird und so im hohen Alter sogar noch lesen und schreiben gelernt hat!
Odisha, Sambalpur Distrikt
Im Sambalpur-Distrikt ist es heiß, aber trocken, die Fahrt vom neuen Flughafen zur Stadt Sambalpur geht vorbei an neuen Stahlwerken, die Straßen voller LKWs. Grundlage dieser Industrialisierung ist auch der Hirakud-Staudamm – 1957 gebaut, gehört er immer noch zu den größten der Welt. Eine riesige Wasserfläche bedeckt die Region, wo früher Wälder waren und Menschen lebten. Ihre Gemeinschaften werden als „tribals/Stämme“ bezeichnet. Ohne neue Landrechte, Entschädigungen oder sonstige Hilfen mussten sie wegziehen und an den neuen Orten irgendwie klarkommen. Sie stehen im Mittelpunkt der Arbeit von Patang, einer Jugendorganisation, die Jugendliche und junge Erwachsene unterstützt, die in ihren Dörfern Veränderungen vorantreiben. Wir treffen die Gründerin Dr. Rita, Mitarbeitende, engagierte Jugendliche und Kinder aus Kinderrechtegruppen im Projektgebiet. Karla Unterhansberg schreibt viele Seiten in unserem Tagebuch über diesen für alle begeisternden Tag, zitiert sei hier nur ein Abschnitt: „Dr. Rita ist eine energiegeladene, humorvolle, unglaublich positive, charismatische Persönlichkeit, der man so sehr abspürt, wie viel Herzblut sie in das Projekt steckt. Aber sie kann sich auch zurücknehmen und den jungen Erwachsenen und Volunteers die Bühne überlassen. Das war für mich gelebtes Umsetzen des Programms.“
Delhi
Tief beeindruckt setzen wir unserer Reise fort nach Delhi, der Weltmetropole. Erleben werden wir auch ihre Kehrseite: einen über 60 Meter hohen, Gifte aussondernden Müllberg. Monika Behrens bezeichnet die Tage in Delhi als ein „Wechselbad der Gefühle“. Außerdem notiert sie: „Nirgendwo war der Gegensatz zwischen ‚im Projekt‘ und ‚draußen größer als hier. Mein vorherrschender Gedanke an diesem Tag ist: NIEMAND sollte hier wohnen!“
Räucherstäbchen und kunterbunte Süßigkeiten
Am letzten Tag treffen wir uns in Delhi mit den Mitarbeitenden des KNH-Indien-Teams, die uns inzwischen ans Herz gewachsen sind, zu einer abschließenden Auswertung der Reise. Die Frage nach dem Mehrwert, den die Partner durch die Zusammenarbeit mit der Kindernothilfe haben, können jetzt am Ende der Besuche alle beantworten: Neben der finanziellen Unterstützung bringt die Kindernothilfe die vielen verschiedenen Organisationen zusammen und organisiert gemeinsames Lernen durch Teilen von Wissen und Erfahrungen.
Ihre Erfahrungen teilen, das möchten auch die Teilnehmenden: „Wie bringe ich Indien nach Deutschland?“, steht auf einer der Auswertungskarten. Christian Platz sagt: „Mit allen Sinnen!“ und kauft noch schnell Räucherstäbchen und kunterbunte Fenchelsamen-Süßigkeiten, bevor es in den Flieger geht.